Fokus KI: Die KI mischt bei der Farben-Herstellung mit
Bei J.W. Ostendorf macht eine KI künftig Vorschläge für Rezepturen und testet sie virtuell
Weiße Wandfarbe ist nicht gleich weiße Wandfarbe. Unterschiedliche Qualitätsstandards, Verarbeitungstechniken und gesetzliche Vorgaben stellen hohe Anforderungen an die Produktentwicklung. Je nach Markt variieren die Erwartungen der Verbraucher – sei es in der Konsistenz, der Anwendung auf Raufaser oder glatten Wänden. Hinzu kommen länderspezifische gesetzliche Regelungen, die sich nicht nur stark unterscheiden, sondern auch regelmäßig ändern. Das ist – vereinfacht formuliert – die tägliche Herausforderung beim Farben-Hersteller J.W. Ostendorf (JWO) in Coesfeld. Mehr als 2.500 Farbformulierungen mit den zugehörigen Rohstoffen hat das Unternehmen im System. Mehrere 1.000 Datensätze aus der Entwicklung der Farbformulierungen stehen dahinter – und die stammen allein aus den vergangenen fünf Jahren.
Hilfe bei der Suche im Datenwust
In diesem Datenwust etwas zu finden, ist eine tägliche Herausforderung für das 20-köpfige Forschungs- und Entwicklungsteam bei JWO. Die Lösung: Künstliche Intelligenz. „Seit rund fünf Jahren nutzen wir eine Laborsoftware zur Datenverwaltung“, erklärt Holger Buchholz, Head of Research and Development bei J.W. Ostendorf. „Mittlerweile ist unsere Datenmenge so groß, dass es immer länger dauert, die nötigen Daten zu finden, damit wir für neue Farbformulierungen nicht bei null anfangen müssen. Deshalb haben wir nach einer KI-Lösung gesucht: Wir wollen das Wissen, das unsere Mitarbeitenden gesammelt haben, langfristig verfügbar machen und somit Arbeitsabläufe effizienter gestalten.“


Laut Stefan Thomas, Gründer und Geschäftsführer der LabV Intelligent Solutions GmbH, dessen Software JWO nutzt, verbrauchen viele Labore mehr Zeit mit der Datensuche und Datendokumentation als mit der Entwicklung von Farbformulierungen selbst. „Auswertungen werden deshalb zum Teil gar nicht erst gemacht, dadurch geht viel Wissen verloren. Dank der KI-Lösung haben die Teams wieder mehr Zeit für ihre eigentliche Aufgabe“, so Thomas.
KI bereitet vorhandenes Wissen für Rezepturen passgenau und präzise auf
Seit Juli 2025 läuft die Testphase bei JWO. Das System geht in zwei Schritten in Betrieb: im September 2025 und voraussichtlich Anfang 2026. „Die KI unterstützt uns zunächst bei der Analyse der Messdaten und Dokumente“, erklärt Florian Weddeling, Teamleiter R&D Decarbonization & New Solutions bei JWO. „Anstatt lange zu suchen, können wir der KI Fragen stellen und erhalten präzise aufbereitetes Wissen. Beispielsweise geben wir die Anforderungen eines Kunden für ein neues Produkt ein und erhalten aus dem vorhandenen Erfahrungswissen einen Startpunkt für die neue Farbformulierung. Das spart enorm viel Zeit.“ Auch die Feinabstimmung bis zur finalen Rezeptur soll künftig schneller erfolgen: Die KI macht Vorschläge für Änderungen in den Mischverhältnissen oder alternative Rohstoffe. „Natürlich ist das ein Lernprozess, aber wir hoffen, dass wir durch die KI im Schnitt vielleicht nur noch fünf statt 10 bis 20 Versuche für die finale Farbformulierung benötigen“, ergänzt Weddeling.
Im zweiten Schritt – ab 2026 – sollen die Versuche weitgehend virtuell ablaufen. Dafür muss die KI lernen, wie Rohstoffe wirken – ob sie die Farbe flüssiger oder zäher macht, zum Beispiel. „Wenn die KI dies in ihre Berechnungen mit einbezieht, kann sie Rezepte simulieren, Zusammensetzungen anpassen – und so echte Versuche ersetzen. Das spart Ressourcen, Zeit und bringt neue Produkte schneller auf den Markt“, erläutert Holger Buchholz. „Die Entwicklung erfolgt natürlich weiterhin manuell, aber der Prozess wird überschaubarer, schneller – und wir können datenbasiert diskutieren.“
Bildzeile Headerbild: Florian Weddeling, Teamleiter R&D Decarbonization & New Solutions, bei der Farbmischung im Labor. Foto: J.W. Ostendorf
Fotos im Text: Farbprobe im Labor. Foto: J.W. Ostendorf // Das KI-System bereitet das Wissen aus den bisherigen Entwicklungen von Farbformulierungen präzise auf. So vereinfacht und beschleunigt es die Entwicklung neuer Formulierungen. Foto LabV Intelligent Solutions GmbH